Trauer
und Trauerphasen
Trauer ist die natürliche Reaktion des Menschen auf einen Verlust. Die Welt verändert sich von einem Tag auf den anderen und die Betroffenen müssen lernen, mit der neuen Lebenssituation umzugehen.

Trauer ist ein Prozess, der bei jedem Menschen anders verläuft. Dauer und Intensität des Trauerprozesses sind individuell verschieden.
Körperliche Symptome (z.B. Schlaflosigkeit, Stechen in der Brust oder Atemnot) gehören ebenso dazu wie seelischer Schmerz (z.B. Ohnmacht, Wut, Zorn), aber auch Gefühle der Erleichterung, Dankbarkeit und vieles mehr.
In der Trauer fühlen sich viele Menschen von ihrem Umfeld nicht verstanden oder nicht wahr- und ernstgenommen. Die Tiefe des Schmerzes und das Ausmaß der Gefühle sind für Außenstehende kaum nachvollziehbar.
Wer die Prozesse der Trauer allgemein besser verstehen möchte, findet Hilfe in psychotherapeutischen Konzepten, wie z.B. dem folgenden von Verena Kast, die die Phasen der Trauer beschrieben hat.

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Wichtig ist, solche Konzepte weder als allgemeingültig zu verstehen (im Sinne von „Das ist immer so“, „Das trifft auf jeden zu“), noch haben sie normativen Charakter („So muss es sein“, „So trauert man richtig“)!
Jedes prozesshafte Geschehen hat einen klaren Anfang, z.B. den Tod eines geliebten Menschen, und ein klares Ende, z.B. die Neuorientierung des gesamten Lebensgefüges.
Die Phasen der Trauer sind jedoch nicht immer linear zu durchlaufen, sie wiederholen sich oft und können auch völlig durcheinander geraten. Jeder Trauerweg ist einzigartig und Konzepte können nur eine kleine Hilfe zum Verständnis sein.
Die Trauerphasen
1. Trauerphase: Nicht-Wahrhaben-Wollen
Der Tod eines Menschen ist immer ein Schock, auch wenn er nicht unerwartet kommt. Verzweiflung, Hilflosigkeit, Leugnen des Todes, Nicht-Glauben-Wollen, Erstarrung, Apathie, manche Menschen verlieren die Kontrolle, brechen zusammen… Diese Phase kann einige Stunden bis mehrere Wochen dauern.
2. Trauerphase: Aufbrechende Emotionen
Die Gefühle bahnen sich ihren Weg. Leid, Schmerz, Wut, Zorn, Freude, Trauer und Angst, je nach Persönlichkeitsstruktur des Trauernden dominieren unterschiedliche Gefühle. Hadern mit Gott: warum hat Gott das zugelassen, was habe ich getan? Schuldgefühle: was hätte ich tun können, sollen, müssen? Fragen und Zweifel: was soll jetzt aus mir werden? Vorwürfe: wie konntest du mir das antun? Warum immer ich? Die Dauer dieser Phase ist schwer abzuschätzen, man spricht von einigen Wochen bis zu mehreren Monaten.
3. Trauerphase: Suchen und Sich-Trennen
Auf jeden Verlust reagieren wir mit der Suche nach etwas. Der reale Mensch wird gesucht, Erinnerungsorte werden aufgesucht, Gesichtszüge des Verstorbenen werden in anderen Menschen gesucht, Gewohnheiten werden teilweise übernommen. Gemeinsame Erlebnisse als Teil der Beziehung werden wie Edelsteine gesammelt, innere Zwiegespräche helfen bei der Entscheidungsfindung und Beziehungsklärung, oft entsteht ein starkes Begegnungsgefühl. Das ist sehr schmerzhaft, aber auch sehr schön. Je mehr gefunden wird, was weitergegeben werden kann, desto leichter fällt die Trennung vom Toten, von der Toten. Diese Suche lässt aber auch oft eine tiefe Verzweiflung entstehen, weil die Dunkelheit noch zu mächtig ist. Suizidgedanken sind in dieser Phase häufig. Diese Phase kann Wochen, Monate oder Jahre dauern.
4. Trauerphase: Neuer Selbst- und Weltbezug
Nachdem man seinen Schmerz herausschreien, anklagen und vorwerfen konnte, kehrt allmählich innere Ruhe und Frieden in die Seele zurück.
Langsam erkennt man, dass das Leben weitergeht und dass man dafür verantwortlich ist. Irgendwann kann man wieder neue Pläne schmieden. Der Trauerprozess hat Spuren hinterlassen, die Einstellung des Trauernden zum Leben hat sich meist völlig verändert. Der/die Verstorbene bleibt ein Teil dieses Lebens und lebt in der Erinnerung und im Gedenken weiter.
Verena Kast
Prof. Dr. phil. Psychologin und Psychotherapeutin, Professorin an der Universität Zürich, Lehranalytikerin des C.G. Jung Institutes, Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie, Habilitationsschrift: „Die Bedeutung der Trauer im therapeutischen Prozess“ Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Kreuz Stuttgart 1982.


